Clemens Maria Heymkind

Autor

(Ent)- Täuschung der Betroffenen

Es ist inzwischen hinreichend bekannt, dass die von katholischen Ordensleuten begangenen Sexualverbrechen gegen Schutzbefohlene, sowohl in den Tatausführungen, als auch was die Höhe der Opferzahlen betrifft, einmalig in der deutschen Kriminalgeschichte sind. Kurzum, wir haben es hier mit schwersten Verbrechen zu tun, die es nach wie vor gilt gesellschaftlich aufzuarbeiten, sowie die „Opfer“ angemessen zu entschädigen. Grundlage hierfür soll nach Vorstellung der Deutschen Bischofskonferenz, die sog. MHG-Studie, vom 24.09.2018 sein.

Zur Erinnerung:

Die MHG Studie vom 24.09.2018, welche von der Deutschen Bischofskonferenz nicht nur in Auftrag gegeben, sondern deren Zustandekommen und Inhalt durch Zensur und Intransparenz geprägt ist (vgl. Die Zeit Nr. 17 vom 17.04.2019, S. 47f), hat gezeigt, dass die erhobenen Zahlen wohl nur die Spitze des Eisbergs sind. Eine sich an der Wahrheit orientierende Analyse der Versäumnisse, Vertuschungen und Verfehlungen, sowie die eigentliche Strafverfolgung innerhalb der katholischen Kirche, wurde auch durch die MHG Studie gezielt von vornherein vereitelt. So wurden zahlreiche Akten manipuliert und vernichtet, bzw. ganze Opfergruppen ausgenommen (z.B. Heim- und Internatskinder). Auch waren von der Studie 400 Ordensgemeinschaften sowie ihre Einrichtungen, sofern diese Einrichtungen nicht einer Diözese unterstellt sind, ausgenommen. Die in der MHG Studie veröffentlichten Zahlen verharmlosen daher die Verbrechen an Kindern und Jugendlichen durch katholische Ordensleute und können daher nicht als Maßnahme für eine ehrliche und schonungslose Aufarbeitung verstanden werden. In diesem Zusammenhang sei jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die sehr seriöse Arbeit der beteiligten Forscher zu keinem Zeitpunkt geschmälert werden soll. Meinem Eindruck nach haben die beteiligten Forscher, -trotz der schwierigen Bedingungen, das Ihnen zur Verfügung gestellte Material, nach bestem Wissen und Gewissen unter Einbeziehung der bekannten Informationen und in der Überzeugung, umsichtig und richtig zu handeln, ausgewertet. Dies ist zweifellos der positive Aspekt der MHG Studie. Abgesehen hiervon, geht der Fond Heimerziehung Stuttgart und das Landesarchiv Baden-Württemberg alleine in der Zeit zwischen 1945 - 1979 in Ost- und Westdeutschland von geschätzten 1,2 Millionen vom Missbrauch betroffenen Heimkindern in öffentlichen und kirchlichen Einrichtungen aus. Der laut MHG Studie auf die katholische Kirche entfallende Anteil von 3.677 Missbrauchsopfern, bei 1.670 Tätern, ist auf dem besagten Hintergrund schlicht und ergreifend unglaubwürdig.

Zur MHG Studie führen sechs renommierte Juraprofessoren aus:

Sechs renommierte Juraprofessoren haben am 26. Oktober 2018 in Verbindung mit dem Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) Strafanzeigen bei jenen Staatsanwaltschaften eingereicht, die für die 27 Diözesen in Deutschland zuständig sind. Anlass ist die Studie "Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz". In ihrer elfseitigen Begründung legen die Rechtsexperten dar, dass im Fall des katholischen Missbrauchsskandals ein zwingender Anlass zur Einleitung von "Ermittlungsmaßnahmen zur Überführung der Täter" besteht, "etwa für eine Durchsuchung von Archiven und die Beschlagnahme der vollständigen, nicht anonymisierten Akten."

In ihrem Schreiben kritisieren die Strafrechtsprofessoren Holm Putzke, Rolf Dietrich Herzberg, Eric Hilgendorf, Reinhard Merkel, Ulfrid Neumann und Dieter Rössner, "wie zurückhaltend Staat und Öffentlichkeit (bislang) mit dem alarmierenden Anfangsverdacht schwerer Verbrechen umgehen." Dies habe möglicherweise seinen Grund in einer in Deutschland herrschenden "intuitiven Vorstellung von der sakrosankten Eigenständigkeit der Kirche". In den USA sei dies beispielsweise anders: Dort seien wegen des Missbrauchsskandals bereits strafrechtliche Ermittlungen aufgenommen worden.

Allerdings sei die Rechtslage auch in Deutschland eindeutig: "Es gibt für die Kirche und ihre Priester keine grundsätzlichen Ausnahmen von der Strafverfolgung wie etwa bei der Immunität von Parlamentariern oder Diplomaten. Es gibt auch kein Recht der Kirche (etwa unter Hinweis auf das Kirchenrecht und die eigene Strafgewalt), ihre Institution von strafrechtlichen Eingriffen frei zu halten." Der Rechtsstaat müsse sicherstellen, dass "die am Schutz der Menschenrechte orientierte Minimalethik des Strafrechts durchgesetzt und persönliche Verantwortung geklärt wird." Ansonsten stehe "das Rechtsvertrauen der Öffentlichkeit im säkularen Staat" auf dem Spiel. Ausgerechnet vorbezeichnete MHG- Studie also, soll nun, -folgt man den vollmundigen Bekundungen des Freiburger Bischofs Burger, als Grundlage zur „Unterstützung für Betroffene“ dienen.

Man kommt als Betroffener nicht umhin der traurigen und bitteren Wahrheit ins Auge zu sehen, dass die Katholische Kirche in Deutschland, -vertreten durch die Deutsche Bischofskonferenz-, ihre fortgesetzte und die in der MHG Studie festgeschriebene Täuschungsstrategie zu Lasten der Öffentlichkeit, sowie „aller Betroffenen“ bis zum heutigen Tage, -offensichtlich ohne jedwede Skrupel-, aufrecht erhält. Die Missbrauchsforschung geht aktuell von ca. 110.00 – 115.000 Missbrauchsopfern aus. Offensichtlich malträtiert die Katholische Kirche bis zum heutigen Tage die Wahrheit, um mögliche Schadensersatzzahlungen zugunsten „Betroffener“ so gering wie möglich zu halten. Die in der MHG Studie proklamierten Opferzahlen, sind im beschämenden Ausmaß „gefaked“ und haben mit der Wirklichkeit nichts zu tun.

So mutiert die im Rahmen der Bischofskonferenz 2019 angekündigte Absicht, nämlich die vom sexuellen Missbrauch betroffenen Opfer (gemeint waren nur die in der MHG Studie erfassten Fallzahlen!) mit je bis zu 400.000,00€ entschädigen zu wollen, zu einem selbstgefälligen Sparplan, deren Bedingungen die Katholische Kirche festlegt. Nunmehr wurden die seinerzeit vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz R. Marx in Aussicht gestellten 400.00,00€ Entschädigungszahlungen auf 30.000€ je Missbrauchsfall abgeschmolzen, wohl auch weil die Verwendung von Kirchensteuergeldern auf breite Empörung in der Öffentlichkeit stieß.

Es ist daher dringend an der Zeit, eine unabhängige Kommission ins Leben zu rufen, die eine sich an den tatsächlichen „Betroffenenzahlen“ orientierte Gegenstudie erarbeitet, fern vom Einfluss der Katholischen Kirche. Hieraus wären sodann verbindliche Schadensersatzleistungen an „alle Betroffenen“ zu leisten. Die Schadensersatzzahlungen dürfen sich nicht an der materiellen Bedürftigkeit der Betroffenen orientieren, sondern bedingungslos am erlittenen Leid der betroffenen Missbrauchsopfer, sowie deren traumatischen Folgen die in den meisten Fällen ein Leben lang wirken.

Der offene Brief kann hier auch im PDF-Format heruntergeladen werden. Download Besinnungsbrief